Baukunst


Keine Kunst ist taktiler als die Baukunst. Architektur erfährt man direkt. Wir leben in Bauten und bewegen uns zwischen ihnen. Sie geben uns Raum und setzen uns Grenzen. Stadtplanung ist die Planung von Leben. Sie regelt das Verhältnis der Menschen untereinander. Bewegungen werden gelenkt, Verkehr reguliert, Verhalten befördert oder behindert. Die Form von Arbeit und Freizeit wird hier bestimmt. Architektur und Stadtplanung sind immer Ausdruck der herrschenden Machtverhältnisse. Keine Kunst ist politischer als die Baukunst.


Architektur und Stadtplanung sind die Themen, mit denen sich das Künstlerduo Reinecke&Wimmer seit 2008 beschäftigt. Ihre skulpturalen Arbeiten, die sie in öffentlichen Räumen errichten, haben mit dem dekorativen Charakter einer Kunst am Bau nichts zu tun. Im Gegenteil attackieren sie mit ihren wuchtigen Objekten die herrschende städtebauliche und architektonische Ordnung. Ihre Objekte reagieren äußerlich mit einer feindseligen Heftigkeit auf eine als feindselig und heftig auftretende Welt. Durch ihre organisch wuchernde Art sind sie zugleich bedrohlich und utopisch: unberechenbar, scheinbar planlos und antihierarchisch.


So etwa die Unbauten, die sie 2008 im Einkaufszentrum Hamburger Straße in Hamburg errichtet haben. Das Einkaufszentrum ist ein mehrgeschossiger Bau aus den 70er Jahren. Aus Wellpappe bauten sie insgesamt neun Anbauten auf ungenutzte Flächen, in leere Nischen und unter Treppen. Der Karton stammte direkt aus den im Keller gelagerten Müllcontainern der auf der Etage angesiedelten Geschäfte und kehrte auf diese Weise wieder zu ihnen zurück. Die Unbauten erinnern an die Unterkünfte von Obdachlosen an ungenutzten und verwahrlosten Orten der Stadt. Ein Einkaufszentrum als Platz, an dem solche Bauten plötzlich zu wuchern beginnen, erscheint seltsam. Es gibt eine Konfrontation von Armut und Reichtum. Geglückte Konfrontationen können dazu beitragen, dass sich das eine im anderen wieder erkennt. In diesem Fall wurde das Einkaufszentrum als Ort des Konsums mit seinem eigenen Verfall konfrontiert.


In der Gesellschaft für Aktuelle Kunst Bremen war zu Anfang des Jahres 2013 ihre Installation „An Stadt Blumen“ zu sehen. Die Ausstellungsräume des Kunstvereins wurden dafür komplett leer geräumt. Einzig ein paar Biertische und –bänke standen herum, - ein Szenario, das an Volksfeste oder Baustellen erinnert. Von einer Baustelle schließlich stammte auch der Sound, der über zwei Lautsprecherboxen durch die Räume schallte: Der Rammschlag. Es handelt sich dabei um schweres Baugerät, das sich mit viel Wucht und Lärm rhythmisch durch die Erde schlägt. Hintergrund für die Installation war die damals prekär gewordene Lage des Kunstvereins. Durch Verkaufspläne der Immobilie, in der sich auch der Kunstverein befindet, wurde sein Fortbestand an diesem Ort zur Disposition gestellt. Die Installation bezog sich allgemein auf die in den Städten fortschreitende Umwandlung vom öffentlichen zum privaten Raum. In Bremen sollte die Leere ganz konkret einen Eindruck davon vermitteln, was sein könnte, wenn die Kunst an diesem Ort verschwinden würde.


Radek Krolczyk